„Mama, warum muss man eigentlich sterben?“

Mama, warum muss man eigentlich sterben?

Mit Kindern über den Tod und das Sterben sprechen

Die meisten Eltern versuchen, alles, was mit dem Thema Tod zu tun hat, von ihren Kindern fernzuhalten – aus dem verständlichen Wunsch heraus, sie zu schützen. Doch das sei nicht hilfreich, weiß der österreichische Gesundheits- und Notfallpsychologe Professor Dr. Gernot Brauchle: „Wenn der Tod eintritt, müssen wir uns bemühen, mit Kindern darüber zu sprechen.“ Zuvor freilich müssen wir uns selbst mit dem Thema auseinandersetzen und wissen, so Brauchle, was Tod für Kinder bedeutet – und wie sich die Bedeutung in den verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen verändert.

Ehrlich informieren

Wichtiger als zu versuchen, den Tod selbst zu erklären, sei es, sich von den Fragen der Kinder leiten zu lassen – und auch nur diese Fragen zu beantworten, rät der Wissenschaftler. Und zwar offen und ehrlich: „Es ist eine große Illusion zu glauben, man könne sein Kind schützen, indem man es anlügt. Weil die Wahrheit einfach nicht verhinderbar ist.“

Denn Kinder entwickeln sich weiter; sie machen Lernprozesse durch; sie bekommen mit, wie in ihrer Umgebung über Todesfälle gesprochen wird  –  und empfinden es als schwerwiegenden Vertrauensbruch, wenn sie als Heranwachsende feststellen müssen, dass sie zum Beispiel über die Todesumstände eines engen Familienmitglieds jahrelang in Unkenntnis gehalten worden waren.

Auf eine lange Reise gegangen …

Überhaupt nicht hilfreich sind Beschönigungen oder bildhafte Umschreibungen, indem zum Beispiel behauptet wird, die Lieblingstante sei auf eine lange, lange Reise gegangen. Oder der ältere Bruder würde jetzt im Himmel schlafen.

Auch kleine Kinder spüren sehr schnell, dass mit diesen Auskünften „etwas nicht stimmt“ und können daraufhin Ängste entwickeln – zum Beispiel davor, selbst im Schlaf zu sterben.

Kindern Teilnahme ermöglichen

Wenn sich ein Todesfall in der Familie ereignet hat, kann es für Kinder hilfreich sein, wenn man sie fragt, ob sie in die Vorbereitungen für den Abschied mit einbezogen werden möchten. Zum Beispiel, indem sie bei der Liederauswahl der Trauerfeier mithelfen dürfen oder indem die Angehörigen gemeinsam Sarg oder Urne farbig gestalten.
Denn viele Kinder haben in der Situation das Bedürfnis, selbst einen Beitrag zu leisten und sich so als wichtigen Teil im Familiengefüge fühlen zu können.

Emotionen ansprechen, Sicherheit geben

Zum ehrlichen Umgang mit dem Thema gehört es ebenfalls, zuzugeben, wenn man eine Frage seines Kindes nicht beantworten kann: „Opa hatte einen Tumor, haben die Ärzte gesagt, und daran ist er gestorben. Aber was ein Tumor ist, weiß ich auch nicht genau.“
Ebenso wichtig ist es, auch die eigenen Emotionen anzusprechen und dabei seinem Kind zugleich Sicherheit und Hoffnung zu geben: „Papa und ich sind genau so traurig wie du, dass Opa tot ist. Wir müssen auch oft weinen. Aber wir wollen alle oft an ihn denken und uns an die tollen Geschichten erinnern, die Opa immer erzählt hat.“

Kinder brauchen die Vorstellung vom Himmel

„Luca aus dem Kindergarten hat gesagt, dass Mama gar nicht im Himmel ist, weil es gar keinen Himmel gibt. Was stimmt denn nun?“ – Wie sollte man als Erwachsener auf eine solche Situation eingehen? Mit einer Gegenfrage, rät Gesundheitspsychologe Gernot Brauchle: „Was denkst du denn, gibt es einen Himmel?“
In aller Regel würde das Kind antworten, dass die verstorbene Person „im Himmel“ sei. Diese Vorstellung, die für das Kind als Bewältigungskonzept für das Geschehene wichtig und tröstlich ist, lässt sich festigen, indem man dem Kind zum Beispiel vorschlägt, ein Bild zu malen, wie der Himmel für die verstorbene Person wohl aussehen kann und was ihr dort gefallen würde, sodass sie sich wohl fühlt und Spaß hat.

Kinderbücher zum Thema Tod und Sterben

Es gibt heute eine große Auswahl an sehr guten Kinderbüchern, die Erwachsenen dabei helfen können, Kindern den Umgang mit dem Thema Tod näherzubringen – durch Vorlesen und gemeinsames Anschauen.
Natürlich kommt es darauf an, dass das ausgesuchte Buch und seine Art des Erzählens – humorvoll, sachlich, sehr gefühlvoll usw. – auch zum Alter, zur Befindlichkeit und zum Entwicklungsstand des Kindes passt.
Deshalb empfiehlt es sich, nicht einfach im Onlinehandel zu bestellen, sondern sich selbst die Bücher im Buchladen anzusehen und sich dort beraten zu lassen.

Empfehlungen

Zu den zahlreichen hannoverschen Buchhandlungen mit einem breiten Angebot an Kinderbüchern gehört der „bücherwurm“ in der List. Etwa ein Dutzend Bücher zum Thema für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen habe man ständig auf Lager, sagt Inhaberin Gundula Krüger. Für Kinder ab etwa 4 Jahren empfiehlt sie zum Beispiel das Bilderbuch „Adieu, Herr Muffin“: „Hier wird sensibel, aber nicht kitschig erzählt, dass das Leben schön ist, aber dass man sich vor dem Tod nicht fürchten muss.“

Gut geeignet für bereits etwas ältere Kinder sei etwa der Titel „Und was kommt dann? – Das Kinderbuch vom Tod“: „Autorin Pernilla Stalfelt gelingt es, einfühlsam und kindernah zu vermitteln, dass alles Lebendige irgendwann einmal sterben muss.“

Mit Kindern über Suizid sprechen

Wohl eine der schwierigsten Aufgaben für Eltern ist es, mit ihren Kindern über den Suizid eines Familienangehörigen zu sprechen. Das Buch „Gelbe Tulpen für Papa“ kann dabei eine Hilfe sein: Tomke braucht ein ganzes Jahr voller schwieriger Fragen und Antworten, bis er versteht, warum sein Papa an einer Krankheit namens Depression sterben konnte. Die Autorin Chris Paul ist Soziale Verhaltenswissenschaftlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Schwerpunkt Trauerberatung. Geeignet für Kinder ab 8 Jahren.

Weitere Empfehlungen

  • Weitere Empfehlungen für Kinderbücher zum Thema finden Sie in unserem Ratgeber-Bereich.
  • Hannoversche Stadtteil-Buchhandlungen mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur sind unter anderem:

Wenn Menschen alt werden, werden sie schrumplig und sterben

Für Lotta* (9 ½) und Meike* (4 ¾) gehört das Vorlesen als fester Bestandteil einfach mit zum Tagesablauf dazu. Abends zum Einschlafen von Mama oder Papa etwas vorgelesen zu bekommen, das ist ein Ritual, auf das auch noch unsere Große sehr viel Wert legt. Und auch ich finde das sehr schön und auch wichtig. Weil es Geborgenheit und Nähe schafft. Und natürlich, weil ich selbst unheimlich gern von meiner Oma vorgelesen bekommen hatte, als ich klein war. Mein Lieblingsbuch war „Die Welt ist rund“; es handelt von der Katze Puss-Puss und ihrem Besitzer, Herrn Waldemar, der leider auf Katzen allergisch ist. Und jetzt habe ich selbst Kinder, die diese Geschichte immer wieder hören wollen: „Hatschi diese Fusseln, welch ein Verdruss! Fort sagt Herr Waldemar, fort muss Puss-Puss!“

Vorlesen ist aber auch eine sehr gute Möglichkeit, auf Probleme einzugehen, mit denen sich die Kinder beschäftigen. Zum Beispiel das Thema Tod und Sterben. Für Meike war die Sache an und für sich klar: Wenn Menschen alt werden, dann werden sie eben schrumplig und sterben. Aber als wir vor kurzem in der Verwandtschaft einen Todesfall hatten, kamen natürlich doch Fragen auf: Warum muss man überhaupt sterben? Wie ist das, wenn man tot ist? – In dieser Situation war ich froh, dass mir jemand das sehr hübsch illustrierte Bilderbuch „Ente, Tod und Tulpe“ empfohlen hatte, das bereits Kindern in Meikes Alter verständliche, und auch trostvolle Antworten auf ihre Fragen geben kann.

– Konstanze*, 34 Jahre

*Namen geändert

Wie Kinder sich den Tod vorstellen

Abhängig von Alter und Entwicklungsstand haben Kinder ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Tod. Darauf müssen sich Erwachsene einstellen, wenn sie mit Kindern über das Thema sprechen. Die folgenden Angaben sind nur als ungefähre Orientierungen zu verstehen:

Kindergartenalter

Im Alter von etwa 3–4 Jahren haben Kinder noch keine Vorstellung vom Tod. Was sich bewegt oder in irgendeiner Weise aktiv ist, wird als „belebt“ aufgefasst; „tot“ bedeutet so viel wie „aus dem Gesichtskreis verschwunden sein“ oder „nicht mehr funktionieren“.

Das magische Denken ist noch stark ausgeprägt: Leben und Tod sind noch keine Gegensätze, Tote können auch wieder lebendig gezaubert werden.

Grundschulalter

Mit etwa 6 Jahren entwickeln Kinder eine erste Vorstellung von der Zeit. Sie bekommen eine Ahnung, dass der Tod etwas ist, was Menschen ereilen kann, denken aber dabei fast immer nur an alte Menschen.

Sie selbst sind flinker und behänder als zum Beispiel der Opa und können deshalb dem Tod einfach davonlaufen, sind also ungefährdet.

Aber es tauchen auch die ersten Frage auf, was aus den Toten wohl wird.

8–10 Jahre

Es entwickelt sich ein deutlicheres Todesverständnis. Der Tod wird als etwas Bedrohliches empfunden, zugleich ist es aber auch gruselig-spannend, sich mit dem Thema zu befassen.
Oft allerdings beziehen Kinder dieser Altersstufe ihr Wissen über den Tod weniger auf sich selbst, sondern machen sich eher Sorgen über Menschen, denen sie sich nahe fühlen.

Vorpubertät

Allmählich wird der Tod zum Teil des eigenen Weltbildes. Die Erkenntnis festigt sich, dass der Tode zum Leben dazu gehört und dass alle Menschen irgendwann sterben müssen – das Kind selbst wie auch seine Eltern: „Auf Sommer folgt der weiße Schnee / Auf Leben Tod, das ist okay.“ (Pernilla Stalfelt: Und was kommt dann? – Das Kinderbuch vom Tod)

Die Charta für trauernde Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche haben ein Recht zu trauern; Erwachsene müssen dieses Bedürfnis respektieren und ernst nehmen. Ihre Trauer ermöglicht es Kindern, ihr Leben neu zu ordnen und wieder positive Perspektiven zu entwickeln. Eine englische Hilfsorganisation für trauernde Familien hat diese Charta für trauernde Kinder und Jugendliche erarbeitet:

Angemessene Information

Trauernde Kinder haben das Recht, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen sowie Informationen, die deutlich erklären, was passiert ist, weshalb dies so war und was als Nächstes geschehen wird.

Mit einbezogen sein

Trauernde Kinder sollten gefragt werden, ob sie mit einbezogen werden möchten in wichtige Entscheidungen, die auch auf ihr Leben Auswirkungen haben werden – wie etwa Planung der Beerdigung, Gestaltung der Jahrestage.

Die Familie mit einbeziehen

Trauernde Kinder sollten Unterstützung in der Art erhalten, dass der Vater und/oder die Mutter mit einbezogen wird und gleichzeitig die Vertraulichkeit für das Kind gewahrt bleibt.

Mit anderen Betroffenen zusammenkommen

Trauernden Kindern kann es gut tun, wenn sie Gelegenheit erhalten, anderen Kindern zu begegnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Erzählen, was passiert ist

Trauernde Kinder haben das Recht, ihre Geschichte auf verschiedenste Art zu erzählen. Sie haben das Recht, dass diese Geschichte angehört, gelesen oder angeschaut wird von den Menschen, die ihnen wichtig sind. Die Geschichte kann beispielsweise durch Malen, Fingerpuppen, Briefe und Worte erzählt werden.

Gefühle ausdrücken

Trauernde Kinder sollten unbefangen alle Gefühle ausdrücken können, die mit der Trauer verbunden sind, zum Beispiel Wut, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle und Angst. Sie sollten dabei unterstützt werden, dies in angemessener Weise zu tun.

Nicht schuld daran

Trauernde Kinder sollten nach einem Verlust wissen, dass sie nicht verantwortlich für den Tod sind und keine Schuld daran haben.

Die gewohnte Routine beibehalten

Trauernden Kindern sollte es möglich sein, ihren früher geliebten Aktivitäten und Interessen auch weiterhin nachzugehen.

Reaktionen der Schule

Trauernde Kinder können es als sehr wohltuend empfinden, eine angemessene und positive Reaktion von ihrer Schule zu erhalten

Erinnerung

Trauernde Kinder haben das Recht, die verstorbene Person für den Rest ihres Lebens in Erinnerung zu behalten, wenn sie dies möchten. Dazu kann gehören, dass man gute und schlechte Erinnerungen noch einmal lebendig werden lässt, so dass die Person ein selbstverständlicher Bestandteil der weiteren Lebensgeschichte des Kindes wird.

Mehr erfahren

  • Auf YouTube finden Sie einen auch für Laien sehr interessanten, ungefähr 40-minütigen Fachvortrag des Gesundheitspsychologen Professor Dr. Gernot Brauchle mit dem Titel „Wie man mit Kindern über den Tod spricht“.
  • Haben Sie Fragen zu Themen wie Trauerarbeit oder Trauerbewältigung? Wir stehen Ihnen gerne beratend zur Seite. Sollte Ihr Kind nach dem Verlust eines Elternteils, eines Geschwisterkindes oder eines anderen nahestehenden Menschen besondere Hilfe benötigen, damit es wieder zu einem Neubeginn finden kann, vermitteln wir Ihnen auf Wunsch eine gezielte Betreuung zum Beispiel durch die Therapeutinnen des hannoverschen „Löwenzahn“-Zentrums. Sie erreichen uns telefonisch unter 0511 957857 und per E-Mail