Opa zeigt Enkelkind, wie man eine Pflanze einpflanzt

Über den Tod hinaus

Weitergeben, was einen das Leben gelehrt hat; in Erinnerung bleiben

Über den Tod hinaus

Randy Pausch, Public domain, via Wikimedia Commons

„Ich habe zehn Tumore in meiner Leber und nur noch wenige Monate zu leben. Ich bin Vater von drei kleinen Kindern und mit der Frau meiner Träume verheiratet. Ich könnte mir leidtun, aber das würde weder ihnen noch mir gut bekommen. Wie soll ich meine drastisch verkürzte Lebenszeit also verbringen?“

Randy Pausch: Last Lecture. Die Lehren meines Lebens

Als der international renommierte Informatik-Professor Randolph Frederick Pausch von seiner Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erfährt, ist er 46 Jahre alt. Er beschließt, eine letzte Vorlesung im Auditorium seiner Universität zu halten; solche „Last Lectures“ sind an vielen US-amerikanischen Universitäten Tradition, aber in Pauschs Fall war das Motto wörtlich zu nehmen.

Vordergründig wendet er sich an seine Studentenschaft. Doch sein wahres Ziel ist es, ein Vermächtnis für seine Kinder zu schaffen und ihnen seine Vorstellungen davon zu vermitteln, wie es gelingen kann, die eigenen Träume zu verwirklichen. Seine Krebserkrankung und den nahenden Tod erwähnt Pausch dabei kaum.

Vielmehr geht er in sehr sympathischer, humorvoller Art auf seine persönlichen Lebensweisheiten ein. Und muss dabei einen Nerv getroffen haben: Die online veröffentlichte Vorlesung wird innerhalb weniger Tage millionenfach heruntergeladen.

Zusammen mit einem Ghostwriter verfasste Pausch noch unmittelbar vor seinem Tod eine Buchversion, die auch in Deutschland zum Bestseller wurde

Weitergeben, was einen das Leben gelehrt hat

Sehr viele Menschen verspüren in der letzten Phase ihres Lebens den großen Wunsch, etwas von ihren eigenen Erfahrungen an die nächste Generation – zum Beispiel Kinder und Enkelinnen oder Enkel – weiterzugeben.
Das rührt nicht nur aus dem Bedürfnis her, dem eigenen Leben Sinn zu verleihen, sondern hat auch viel zu tun mit einem Gefühl für gesellschaftliche Verantwortung, für das Wohl kommender Generationen. Die Fähigkeit, in dieser Art zu denken und zu handeln, wird als Generativität bezeichnet.

Über den Tod hinaus

Stichwort: Generativität

Die Fähigkeit zur Sorge / Fürsorge für Menschen einer anderen Generation und der Wille, Fürsorgeverantwortung zu übernehmen (zum Beispiel Eltern für die eigenen Kinder, solange sie klein sind; erwachsene Kinder für ihre alt gewordenen Eltern)

Nun ist natürlich längst nicht jeder in der privilegierten Situation eines in Fachkreisen hoch gerühmten Wissenschaftlers wie Randy Pausch, der im voll besetzten Auditorium Maximum seine „Last Lecture“ hält.

Doch wir alle haben unsere ganz persönlichen Möglichkeiten, damit uns unsere Liebsten mitsamt unseren Erfahrungen, Eigenheiten und Erkenntnissen so lange wie möglich in Erinnerung behalten. Zwei authentische Statements stellen wir Ihnen hier vor (lediglich die Namen wurden geändert).

„Mehr Pfeffer, als man denken sollte“

Eine „gute Köchin“ im herkömmlichen Sinn war meine Mutter wohl eher nicht. Aber alles, was sie kochte, hat mir als Kind einfach wunderbar geschmeckt. Ihr großes Talent bestand darin, auch ganz einfache Gerichte zu etwas Besonderem zu machen.
Wenn ich mich später während meiner Studienzeit gelegentlich sonntags bei ihr zum Essen einlud, freute ich mich schon Tage vorher auf einen ihrer deftigen Gemüseeintöpfe oder eine ihrer köstlichen Nudelsoßen.

Schon sehr oft hatte ich meine Mutter darum gebeten, mir doch bei Gelegenheit ein paar ihrer leckersten Rezepte aufzuschreiben; zum Beispiel das für die glasierten Hähnchenkeulen „a la Ali Baba“ oder das für den superknusprigen Pizzateig. Doch stets sagte sie, dass sie eigentlich gar keine richtigen Rezepte habe, sondern die Gerichte „mal so und mal so“ zubereiten würde, wie es ihr eben gerade in den Sinn käme. So ganz geglaubt hatte ich ihr das nie, sondern immer vermutet, dass sie bloß keine Lust für den Schreibkram hatte.
Vor ungefähr zwei Jahren wurde meine Mutter schwer krank. Schon bald brauchte sie intensive Betreuung, und selbst am Herd zu stehen war für sie unmöglich geworden.

Als ich sie etwa ein Vierteljahr vor Ihrem Tod besuchte, hatte sie eine große Überraschung für mich: Ein hübsch gebundenes Buch, in das sie mit Ihrer zierlichen Handschrift viele ihrer schönsten Rezepte notiert hatte. Unter anderem das für den besten Schmorfleischtopf, den man sich nur vorstellen kann. Und das begann so: „Dieser Schmortopf braucht viel Pfeffer, damit er wirklich gut schmeckt. Und zwar mehr, als man denken sollte. Wenn du meinst, jetzt ist es genug, dann gib ruhig noch einen Esslöffel dazu.“
Mittlerweile habe ich fast alle Rezepte aus dem Büchlein meiner Mutter nachgekocht. Die meisten sind ohne feste Mengenangaben oder genaue Zutatenlisten. Aber sie schmecken immer wieder toll, und wenn ich eines dieser Gerichte für meine eigene Familie zubereite, denke ich stets mit großer Liebe und Dankbarkeit an meine Mutter, die beste Köchin, die es je gab.

– Felix, 31 Jahre

Felix Kochbuch

„Unser Lied“

Als mein Mann die Nachricht bekam, dass er wahrscheinlich nur noch wenige Monate zu leben habe, begann er damit, sich Gedanken über seine Beisetzung zu machen. Er bat mich, einige unserer engsten Freunde zu fragen, ob sie bereit wären, bei der Trauerfeier ein paar persönliche Worte zu sprechen. Und er stellte eine Liste von Musikstücken zusammen, die während der Feier gespielt werden sollten; darunter ein Bach-Choral und weitere dem Ernst der Situation entsprechende Kompositionen.

Kurz darauf nahmen wir an der Trauerfeier einer guten Bekannten teil, einer ehemaligen Kirchenmusikerin. Zu unserer Verwunderung war der musikalische Rahmen ein völlig anderer als wir erwartet hatten: Keine klassische, getragene Musik, sondern vielmehr ein Mix aus leichten, wie hingetupft wirkenden Melodien, die für eine ganz besondere, gelöste Stimmung in der kleinen Kapelle sorgten.

Das brachte meinen Mann dazu, seine eigene Musikzusammenstellung auf den Kopf zu stellen. „Die ganze Veranstaltung wird schon traurig genug werden“, sagte er. „Da muss doch auch Zeit zwischendurch sein für ein paar Momente Fröhlichkeit.“ Und er hatte recht damit. Es wurde eine wunderschöne Feier – mit sehr persönlichen Erinnerungen sehr lieber Freunde, mit fröhlichen Reggae-Klängen und Rhythmen aus der Karibik … und zum Abschluss, auf dem Weg zum Grab, mit eben dem Song, den wir damals so oft gehört hatten, als ich mit unserer Tochter schwanger war.

Ich weiß es genau: Mit diesem Lied werde ich meinen Mann immer in Erinnerung behalten, bis zu meinem eigenen Tod.“

– Christine, 58 Jahre

Tanzendes Paar am Strand

Das Konzept Würdetherapie

„Der Tod mag ein einmaliges Ereignis sein, doch mit einer tödlichen Krankheit zu leben, ist ein Prozess.“

Paul Kalanithi: Bevor ich jetzt gehe

Als bedeutender Fortschritt in der palliativen Therapie hat sich die anfangs der 2000-er Jahre von dem kanadischen Psychiater Harvey M. Chochinov und seinem Team entwickelte Würdetherapie erwiesen. Sie hat zum Ziel, psychosoziale, spirituelle und existentielle Belastungen von Schwerstkranken zu vermindern und ihr Empfinden von Würde, Sinnhaftigkeit und Zielgerichtetheit zu stärken.

Die Patientinnen und Patienten werden dazu eingeladen, in mehreren vorstrukturierten Gesprächen mit ihrer Therapeutin oder ihrem Therapeuten einen Lebensrückblick zu entwerfen und dabei zum Beispiel auf das einzugehen, was sie im Leben erreicht haben; worauf sie stolz sind und was in besonderer Erinnerung bleiben soll. Und ebenso auf Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie ihren Angehörigen für deren Zukunft weitergeben möchten.

Die aufgenommenen Interviews werden von der Therapeutin oder dem Therapeuten in lesbare Form gebracht und mit der Patientin oder dem Patienten besprochen. Zuletzt wird der fertige Text der Patientin oder dem Patienten in mehrfacher Ausfertigung überreicht, der ihr oder ihn wie ein Vermächtnis denjenigen Personen hinterlassen kann, die ihr oder ihm am nächsten stehen.

Über den Tod hinaus

Die neun Leitfragen der Würdetherapie

  • Erzählen Sie mir etwas über Ihre Lebensgeschichte; besonders die Teile, an die Sie sich am meisten erinnern oder die Sie für die wichtigsten halten. Wann fühlten Sie sich am lebendigsten?
  • Gibt es bestimmte Dinge, die Ihre Familie über Sie wissen und an die sie sich besonders erinnern soll?
  • Welche sind die wichtigsten Positionen, die Sie in Ihrem Leben innehatten (in der Familie, im Beruf, in der Gemeinde usw.)? Weshalb waren diese so wichtig für Sie und was glauben Sie, in diesen Rollen erreicht zu haben?
  • Was sind Ihre wichtigsten Leistungen und worauf sind Sie am meisten stolz?
  • Gibt es besondere Dinge, die Sie Ihren Angehörigen dringend noch sagen möchten oder die Sie gerne noch einmal sagen möchten?
  • Was sind Ihre Hoffnungen und Träume für Ihre Angehörigen?
  • Was haben Sie über das Leben gelernt, das Sie anderen mitgeben möchten? Welchen Ratschlag oder welche Leitlinien möchten Sie weitergeben an die Menschen, die Ihnen am wichtigsten sind?
  • Gibt es Worte oder sogar Unterweisungen, die Sie Ihrer Familie übergeben möchten, um ihr zu helfen, sich auf die Zukunft vorzubereiten?
  • Gibt es noch andere Dinge, die Sie in dieses bleibende Dokument einschließen möchten?

Zufriedenheit und Gewinn

Sehr viele Patientinnen und Patienten, die an einer solchen würdezentrierten Therapie teilgenommen hatten, berichten über hohe Zufriedenheit und ein erhöhtes Gefühl von Würde und Lebenssinn. Auch Angehörige erleben immer wieder den durch die therapeutischen Gespräche entstandenen Lebensrückblick ihres Verstorbenen als wertvolle Quelle des Trosts und Hilfe in der Zeit der Trauer.

Weiterlesen – mehr erfahren

  • Das international sehr erfolgreiche Buch von Randy Pausch „Last Lecture – Die Lehren meines Lebens“ ist zurzeit auf deutsch leider nur noch antiquarisch zu bekommen. Als Hörbuch (5 CDs, eingesprochen von dem bekannten Schauspieler Joachim Schönfeld) ist es aber auch im Verlag steinbach sprechende bücher erschienen und überall im Buchhandel erhältlich.
    In seinem ebenfalls überaus lesenswerten Buchessay „Bevor ich jetzt gehe – die letzten Worte eines Arztes an seine Tochter“ beschäftigt sich auch der Neurochirurg und Literaturwissenschaftler Paul Sudhir Kalanithi mit der Frage, was das eigene Leben lebenswert macht und wie es gelingen kann, die Dimensionen von Leben, Sterben und Tod in die richtige Ordnung zu bringen. „Unbedingt lesenswert, weil es Mut macht, trotz alledem“, so das Fazit der Rezension in der Welt am Sonntag.
    Beide Bücher sind auch bei Streaming-Diensten wie Audible oder Apple Books auf deutsch verfügbar.
  • Weiterführende Informationen zum Thema Würdetherapie finden Sie auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Patientenwürde e. V.
  • Die seit 2010 bestehende Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland formuliert Leitsätze, wie das Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen gewährleistet und durchgesetzt werden kann.

Haben Sie Fragen zu Themen wie Trauerarbeit, Trauerbewältigung, Generativität oder würdezentrierter Therapie? Wir stehen Ihnen gerne beratend zur Seite und vermitteln Ihnen auf Wunsch Kontakte zu erfahrenen Fachleuten. Sie erreichen uns telefonisch unter 0511 957857 und per E-Mail